3     Abgrenzung gegen "Fremde"     (27.03.2001)

Die Ablehnung von "Fremden", die man immer wieder nach Bedarf instrumentalisieren kann - was ist das nur? Man möchte meinen, es hat den Reisemarathon der Deutschen in den letzten Jahrzehnten durch die ganze Welt gar nicht gegeben. Warum grenzen sich Menschen zu Hause von dem ab, was sie in ihren Urlaubsträumen suchen? Worauf gründen sich die Ängste, die zur Abgrenzung führen? Warum lassen sich Menschen wieder und wieder von nationalistisch auftretenden Lauttönern beschwiemeln? Sitzen wir alle miteinander zu wohlhabend auf einem sehr hohen Ross?

Bei Ralph Giordano „Die Bertinis“ fand ich folgende Schilderung eines Abgrenzungsmechanismus, hier natürlich vor einem nachvollziehbaren historischen Hintergrund.

Einfügungen [ ] sind von mir.

 

[Die gemischtjüdische Familie Bertini lebt seit Generationen in Hamburg. Seit dem Beginn der Naziherrschaft sind die gegenwärtigen Familienmitglieder auf unterschiedliche Weise ins Abseits gedrängt worden: Verweis vom Gymnasium, Wehruntauglichkeit, Arbeitsverbot ....]

„... In diesem Sommer, dem elften vom Jahre 1933 an gerechnet, hatte die Isolation der Bertinis ihren Abschluß gefunden. Jede Art von Zugehörigkeit erschien in ihrer Vorstellung als Vergangenheit. Heimat [Hamburg] - das war! ...

Um diese Zeit sagten die Bertinis längst nur noch - die Deutschen, etwas, womit sie nichts mehr zu tun hatten.

Die antisemitische Rassenpolitik so vieler Jahre hatte in ihnen den antideutschen Gegenmechanismus in Kraft gesetzt. Aber dieser Mechanismus war seinem ganzen Charakter nach anonym. So haßten weder Roman noch Cesar [die beiden jugendlichen in der Familie] irgendeinen ihnen persönlich bekannten Menschen, selbst die Speckrolle [ein besonders widerwärtiger Lehrer, der beide aus der Schule verdrängt hatte] und Günther Jucht nicht. Diese zählten zur Gruppe derer, die ihnen übelwollten, Helene Neiter und Erika Schwarz zu jener, die ihnen wohlwollten - beides Minderheiten. Dazwischen lag die große Masse derer, die sich weder für die Propaganda noch für die Verfolgten engagierten. Das waren ihre Erfahrungen mit denen, die sie kannten.

Der Gegenmechanismus aber war undifferenziert, er richtete sich gegen alle, die sie nicht kannten, sozusagen gegen Unbekannt, gegen die erdrückenden Millionen, von denen sie nichts wußten, die für sie anonym waren - eben die Deutschen.“