7     Lichte Gedichte      (21.12.2002)

Gestern Abend haben wir in der Gesprächsrunde ‹3nach9› bei Emily Fried den Poeten Robert Gernhardt erlebt. Er war uns so sympathisch, dass ich heute beim Frühstück Eva aus seinen Gedichten vorgelesen habe. Da hatte ich das Gefühl, ich sollte unsere Bollwerkfreunde daran teilhaben lassen.

Hier also zur Abwechslung eine kleine "Blüten"lese:


GUT UND LIEB

Kommt, das gute Brot des Nordens

Wolln wir stückchenweise braten

In dem guten Öl des Südens,

wie es schon die Väter taten.

Von dem guten Wein des Westens

Trinken wir, dieweil wir essen,

um die liebe Not des Ostens

schlückchenweise zu vergessen.

 

WAS ES ALLES GIBT

Da gibt es die, die schlagen

Da gibt es die, die rennen

Da gibt es die, die zündeln

Da gibt es die, die brennen

 

Da gibt es die, die wegsehn

Da gibt es die, die hinsehn

Da gibt es die, die mahnen:

Wer hinsieht, muss auch hingehn

 

Da gibt es die, die wissen

Da gibt es die, die fragen

Da gibt es die, die warnen:

Wer fragt, wird selbst geschlagen

 

Da gibt es die, die reden

Da gibt es die, die schweigen

Da gibt es die, die handeln:

Wer wir sind, wird sich zeigen.

 

KLAGE

Ein Uhr und noch nichts geschafft

Zwei Uhr und noch nichts gerafft

Drei Uhr und noch nichts gemacht

Vier Uhr und noch nichts gedacht

Fünf Uhr und noch nichts getan -

Und um sechs fängt doch schon das Trinken an!

 

NATUR-BLUES

Kaum atmest du wegen der Eichen auf,

da gehen schon die ersten Kastanien drauf

Natur

Kaum lassen die Kinderkrankheiten nach,

da fühlst du dich schon etwas altersschwach

Natur

Kaum erholt sich dein Land von der Trockenheit,

da macht sich bereits wieder Hochwasser breit

Natur

Kaum hast du entdeckt, welcher Wein dir schmeckt,

da hat das auch deine Leber gecheckt

Natur

Kaum lockt dich der blühende Wiesenrain,

da stellt sich dort auch schon die Milbe ein

Natur

Kaum weißt du, wo man gut essen geht,

da empfiehlt dir der Arzt eine Nulldiät

Natur

Kaum geben die letzten Amseln Ruh,

da gibt schon der Kauz seinen Senf dazu

Natur

Kaum kommt der ersehnte Schlaf herbei,

da weckt dich schon wieder Amselgeschrei

Natur

Kaum dass du die Kunst zu leben erlernst,

da macht schon der bleiche Geselle ernst:

Natur.